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Dieser Text ist nicht nur für Paare und Eltern! Es betrifft jede Person im täglichen Leben / Arbeits-Leben.
Wir Menschen treffen jeden Tag unsagbar viele Entscheidungen.
Ob sie uns nun bewusst sind, oder auch nicht.
Eine der wichtigsten Entscheidungen, die ich jeden Tag aufs Neue für mich treffe:
«Mit welcher Energie will ich heute durch diesen Tag gehen?
Lasse ich zu, dass jemand oder eine Situation meine Energie so in den Keller zerren kann, dass es mir schlecht geht?»
Und meine Antwort lautet jedes Mal ganz bewusst: «Nein! Das lasse ich nicht zu!
Zugegeben: das war ein Prozess, der nicht auf Anhieb funktionierte.
Es brauchte einen Impuls einer von mir sehr geschätzten Frau.Sie stellte mir genau die in obigem Bild dargestellten Fragen.
«Wohin geht deine gesamte Energie (körperlich und auch geistig), wenn du handelst wie in Bild A und wie geht es dir, wenn du den Tag in einer Verfassung verbringst wie in Bild B? Und auch in deinem Fall als Mutter/Vater: Wie geht es deinen Kindern damit?»
Aus meiner eigenen Erfahrung als Selbständige mit 60 Mitarbeitern, Working Mom und aus dem Home Office weiss ich nur zu gut, was es heisst, im Unternehmen voll gefordert zu sein mit all seinen Unwägbarkeiten und dann auch noch für Kinder und ihr Wohlergehen verantwortlich zu sein.
Das ist zwar schon 30 Jahre her mit den Kindern, aber ich habe es aufgrund der derzeitigen erzwungenen Lockdowns wieder sehr präsent. Voll im Arbeitsleben zu stehen ist auch ohne Kinder schon herausfordernd genug. Und dann auch noch in extremen Zeiten.
Damals war es keine Pandemie, sondern eine massive Konjunkturkrise mit erheblichen Umsatzeinbrüchen der gesamten Bauindustrie.
Wir waren stark abhängig vom Bau. Es wurde kaum etwas gebaut. Und wenn nichts gebaut wird, braucht es keine Büromöbel, keine Küchen, keine Bäder. Also lief auch unsere Produktion auf Halbmast. Die Liquidität wurde immer angespannter.
Eine Krise, die wie die Pandemie von aussen kam. Eine Krise, die wir augenscheinlich nicht beeinflussen konnten. Wir fühlten uns ohnmächtig im Re-Aktions-Modus. Das ging an die Substanz.
Und je mehr ich mich in diese Situation hineinsteigerte, umso mehr Energie verlor ich. Ich war in jeder Zelle meines Körpers und auch im Geist gestresst.
In Extremsituationen sind so viele Entscheidungen zu treffen damit der Laden trotzdem läuft, da sind Mitarbeiter, die unterschiedlich geführt werden wollen. Weil manche mit Unvorhergesehenem weniger gut umgehen können als andere.
Und da sind ja auch noch die Kinder, die einem manchmal alles abfordern.
Das taten sie in gleichem Masse, wie ich gestresst war.
Es war ein fürchterlicher Kreislauf und die Energie-Spirale von uns allen sank immer tiefer. Ich schrie die Kinder an (da bin ich heute immer noch beschämt), sie wurden dadurch immer aggressiver.
Machten nach meinem Empfinden extra Blödsinn, nur um mich/uns zu ärgern.
Sie sollten doch aber gefälligst brav sein und uns entlasten.
Im Nachhinein betrachtet:
«Oh mein Gott, was verlangte ich da nur von Kindern, die gerade mal erst ihre Schultüte ausgepackt hatten!"
Unbewusst verlangte ich von meinen Kleinen, dass sie dafür sorgten, dass es mir besser geht!
Wie irre ist das denn?»
Es war ein täglicher Kampf. Die Kinder wehrten sich auf unseren Druck instinktiv, indem sie mit Gegendruck reagierten.
Unsere Tage wurden regiert von Überforderung und sich über die Situation aufregen.
Bis mir die Nachbarin meiner Eltern, Frau Excellenz (so nannten wir sie als Kinder, weil wir ihren ungarischen Namen nicht aussprechen konnten) genau jene Fragen stellte.
Sie hielt mir den Spiegel vor:
«Du schaust nur auf das, was von aussen kommt, übernimmst diese Angst, den Frust und die Ohnmacht. Und schau dich an, was es mit dir macht. Ja, es ist schwer, was gerade abläuft, du bist extrem gefordert. Aber lass dich von dem doch nicht so herunterziehen! Das macht es keinen Deut besser! Im Gegenteil! Mit solch einer Energie in dir wirst du falsche Entscheidungen treffen und alles wird noch schlimmer!»
Sie sagte das nachdrücklich, aber auf ihre ruhige, besonnene Art.
Ihre Worte erschütterten mich bis ins Mark.
Und es machte ein unglaubliches «Klick» in meinem Bewusstsein, in meiner Wahrnehmung.
Wie Recht Frau Excellenz doch hatte. An der Gesamtsituation konnte ich selbst nichts, definitiv gar nichts ändern. Die Rezession und den damit verbundenen Stopp in der Bauwirtschaft konnte ich nicht aufhalten.
Das Einzige, das ich und wirklich ich ganz allein aufhalten konnte, war mein Verhalten und wie ich mit den Gegebenheiten umging.
Frau Excellenz war mir dazu ein ganz hervorragendes Beispiel.
So, wie sie ihre eigene tragische Geschichte in eine unglaubliche Erfolgs-Story verwandelt hatte.
Um aufzuzeigen, warum ihre Geschichte für mich so beeindruckend war und immer noch ist, muss ich etwas weiter ausholen.
Die Geschichte von Frau Excellenz beschreibt, was sie hatte, bevor sie nichts mehr hatte und dann wieder sehr viel hatte.
Mir sind auch heute noch ihre Worte so präsent, als ob sie mir das alles gestern erzählt hätte.
Sie war die älteste Tochter eines sehr reichen Gutsherren und wuchs in der Nähe von Budapest auf einem riesigen Gestüt auf. Ihr mangelte es an rein gar nichts.
Als Kinder wollten wir immer wieder die Bilder sehen, wie sie als junges Mädchen mit einem langen, weissen Kleid auf dem gutseigenen Tennisplatz (es war vor dem 1. Weltkrieg, das muss man sich mal vorstellen!) dem Ball hinterherjagte. Sie erzählte uns, dass sie sich gegen ihre Mutter und ihre Tanten zäh darum ringend durchgesetzt hatte, dass sie überhaupt Tennis spielen durfte.
Denn eine schickliche Dame aus reichem Haus spazierte lediglich mit einem Sonnenschirm bewaffnet am Rande des Spielfeldes auf und ab. So nicht die junge Teréz. Genau so wild wie sie Tennis spielte, galoppierte sie auch in Jungs-Hosen auf einem Jungs-Sattel über das Gutsgebiet.
Zu dieser Zeit natürlich in der feinen, ungarischen Gesellschaft ein Verhalten, das ein Naserümpfen der Freundinnen ihrer Mutter nach sich zog.
Doch das war ihr egal. Sie hatte auch immer Rückhalt und wohlwollende Liebe von ihrem Vater und ihren Brüdern. Das bestärkte sie und liess sie vieles ausprobieren, was damals eigentlich nur Männern vorbehalten war.
An ihrem Debütantinnen Ball in Budapest (sie war schon älter als üblich, weil der 1. Weltkrieg solche Anlässe nicht zuliess) lernte sie den schmucken und gutaussehenden Offizier Béla kennen. Die beiden verliebten sich bis über beide Ohren ineinander. Sie zog mit ihm nach Budapest in eine schöne Stadtwohnung und wurde Mutter zweier Kinder. Da auch Béla aus sehr wohlhabendem Haus kam, mangelte es ihr materiell wieder an nichts.
Auch Béla war ein sehr sanfter und verständnisvoller Mann und liess seine Frau an der Uni volkswirtschaftliche Kurse belegen. Sie liebten es, miteinander über wirtschaftliche und politische Themen zu diskutieren.
Doch diese Idylle wurde mit Beginn des 2. Weltkrieges jäh unterbrochen.
Ungarn schloss sich den Nazis an und Bèla musste in den Russland-Feldzug.
Bekam sie auf dem Gutshof ihrer Eltern den 1. Weltkrieg kaum mit, so lernte sie in der grossen Stadt die Brutalität des 2. Weltkrieges umso mehr kennen und am eigenen Leib zu spüren.
Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde knapp, die Winter waren ohne wärmendes Holz bitterkalt. Ihre grösste Sorge galt der Ernährung und der Wärme ihrer Kinder und dass ihr geliebter Béla auf den Schlachtfeldern gegen Russland überlebte.
Zum Glück konnte sie in den ersten Jahren noch immer mit dem Fahrrad auf den Gutshof und sich wenigstens etwas Essen und Holz holen. Doch ihre Eltern starben, der Gutshof wurde vom nationalsozialistischen Militär beschlagnahmt und somit gab es auch für sie und ihre Kinder dort nichts mehr zu holen.
So musste sie alles, was sie besass über die Jahre am Schwarzmarkt weit unter Wert verkaufen. Aber es gelang ihr, sich und die Kinder über Wasser zu halten.
Doch die Russen rückten immer weiter gegen Budapest vor.
Béla war inzwischen Feldmarschall und hatte genügend interne Informationen, um seine Teréz rechtzeitig vor dem Einmarsch des russischen Militärs zu warnen. In einer Depesche schrieb er ihr, dass sie sich einem der ersten Flüchtlings-Trupps anschliessen sollte und wie sie sich und die Kleinen während der Flucht am besten schützen konnte.
Und so packte sie alles zusammen, was sie noch besass und zog in einer Pferdekutsche los.
Dass dies eine schreckliche und entbehrliche Reise war muss ich, glaube ich, nicht näher beschreiben. Das einzige positive war wohl, dass sie ihren Fluchtort noch vor Beginn eines äusserst harten Winters erreichten. Sonst hätten sie wohl nicht überlebt.
Auf meine Frage als Kind, ob sie denn nicht geweint hätte, als sie all das verloren hatte, antwortete sie nur:
«Weisst du, was nützt dir schon das Weinen in einer schlimmen Situation. Das macht doch alles nur noch schlimmer und du verschwendest zu viel Zeit dafür.
Anstatt dich auf das zu konzentrieren, was jetzt wichtig ist: dich damit zu beschäftigen, was dir diese Momente leichter macht und dir Ideen für eine Verbesserung bringt.
Ich habe nicht dem nachgeweint, was ich nicht mehr hatte, sondern nur daran gedacht, was ich alles für Möglichkeiten habe, das Geschehen erträglich zu machen.
Und meinen Kindern meine Liebe zu zeigen.»
Und so landete sie mit zwei anderen Familien und ihrem mehr und mehr schrumpfenden Hab und Gut nach monatelanger Flucht im 600km entfernten Niederbayern.
«Weisst du, Martina, vor einem hatte ich irgendwann doch riesige Bedenken: dass die Menschen dort uns nicht haben wollen und dass ich kein Heim für uns finde.»
Erinnert dich das an etwas in der Neuzeit?
Aber ihre Befürchtungen waren unbegründet. In dem kleinen Ort fand sich ein Handwerker, der die drei Familien in seinem grossen Haus wohnen liess.
Auch die restlichen Markt-Bewohner waren ihnen wohlgesonnen. Die Kinder kamen in die Schule und profitieren davon, dass Teréz mit ihnen während der Flucht schon etwas Deutsch gelernt hatte.
Béla war in russische Gefangenschaft geraten und sie fürchtete, dass er das nicht überstehen könnte.
Aber auch von dieser Sorge liess sie nicht ihr Leben bestimmen.
Und damals, als sie mir ihre Geschichte das erste Mal erzählt hatte, blieb mir dieser Schlüsselsatz in Erinnerung (an den ich mich dann später, während unserer betrieblichen Krise erst einmal nicht erinnert hatte…zwinker…).
«Ich hatte die Wahl: Entweder machte ich mich verrückt durch die Angst um meinen Mann oder ich kümmerte mich um meine Kinder und dass es uns besser ging. Ich habe die zweite Möglichkeit gewählt. Ich habe immer die Möglichkeit gewählt, die mir Kraft gab. Alles andere nimmt dir Kraft und zerstört dich.»
Teréz half der Frau des Handwerkers im Haushalt und unterrichtete die immer mehr nachkommenden ungarischen Flüchtlinge. Das hielt sie über Wasser. Die Kinder hatten die Flucht einigermassen gut verarbeitet (ihre Tochter wohl besser als ihr Sohn, wie sie später feststellen musste).
Während der ganzen Zeit ohne Béla hatte sie es schon immer so gehalten, dass sie all ihre Gefühle und Empfindungen aufschrieb. Das sollte sich später als sehr nützlich erweisen.
Die Familien, die gemeinsam mit ihr in dem Trupp waren, hielten engen Kontakt zueinander. Eines Tage sprach sie der eine Familienvater an, der in Budapest einen eigenen Verlag hatte und fragte sie, ob sie denn ihre ganzen Erlebnisse nicht in einem Buch verewigen möchte.
Das wollte sie zuerst nicht, willigte dann aber ein.
Er besuchte mit ihr einen Verlag in München und sie sollte ein Buch über sich und ihre Flucht schreiben.
Wieder zu Hause angelangt, ging ihr etwas immer wieder durch den Kopf:
«Das sind meine Gedanken und die Gefühle für Béla. Das möchte ich eigentlich nicht mit anderen Menschen so teilen."
Aber Schreiben an sich wäre schon schön.
Sie verschwendete dann aber keinen Gedanken mehr daran.
Wie es der Zufall so wollte (gibt es den totalen Zufall wirklich?) ging sie einige Wochen später am Schreibwarengeschäft an einem Zeitschriften-Ständer vorbei.
Da fielen ihr die damals bei sehr vielen Frauen sehr beliebten Groschen-Romane erstmals so richtig auf.
Sie, die eher anspruchsvolle Bücher gelesen hatte, wunderte sich immer über die Frauen, die diese Arzt-Romane zu verschlingen schienen.
Aber klar, in diesen Heftchen fanden sie all das, was sie während des Krieges vermissen mussten oder aber noch gar nie gehabt hatten: Liebe, Begehren, ein schönes Leben.
Einzutauchen in diese Lektüre bedeutete, dass sie all ihre Entbehrungen für eine gewisse Zeit vergessen konnten und sich als Heldinnen oder begehrte Frauen fühlen konnten.
Genau wie für Teréz waren "richtige" Bücher für diese Frauen gar nicht erschwinglich.
Die Arzt-Lektüre war billig, für ein paar Groschen zu haben; deshalb hiessen sie Groschen-Romane.
Bereits am Nachhauseweg keimte in Teréz eine Idee heran:
«Ich könnte doch solche Geschichten schreiben!» Doch als sie ihrem Verleger-Freund davon erzählte, war dieser völlig empört. «Du willst doch nicht allen Ernstes solchen Schund schreiben!»
Sie liess sich von seiner Aussage jedoch nicht beeinflussen, erfand einen Arzt und sein Drumherum (wie Teréz zu sagen pflegte), schrieb drei Episoden über diesen Arzt und fuhr alleine nach München zu jenem Verlag, der die Romane verlegte.
Tja, sie fuhr mit einem Vertrag über mehrere Episoden nach Hause!
So wurde Teréz in den 50er Jahren zur Working Mom!
Anfangs arbeitete sie tagsüber noch im Haushalt und schrieb nachts. Als ihre Liebesromanzen aber eine immer grösser werdende Anhängerschaft bekam und sie richtig gut Geld verdiente, konnte sie sich ganz auf das Schreiben verlegen.
Habe ich schon erwähnt, dass Frau Excellenz immer perfekt frisiert und tadellos gekleidet war? Selbst in ihren ärmsten Zeiten war ihr das immer äusserst wichtig.
Zu mir sagte sie während meiner Pubertät einmal (damals trugen wir die ersten stonewashed Jeans mit selbst herbeigeführten, ausgefransten Löchern):
«Martina, gepflegte Kleidung verleiht dir Kraft. Wenn du so zerlumpt herumläufst, sieht es in deinem Innersten bald auch so aus.»
Hmmm…Wenn meine Mutter das gesagt hätte, hätte ich nicht drauf gehört. Aber bei Frau Excellenz war das etwas anderes. Fortan trug ich zumindest meine T-Shirts wieder gebügelt. Die Hosen waren halt ein Muss, um in der Freundes-Clique geachtet zu sein. *zwinker*
Ihr Mann Béla kam nach acht Jahren Gefangenschaft aus Russland zurück. War aber so schwer krank, dass er zwei Jahre später verstarb.
Dies war für sie wieder ein schmerzlicher Verlust.
Aber auch dadurch liess sie sich nicht von ihrer Lebenseinstellung abbringen:
«Wohin geht deine gesamte Energie (körperlich und auch geistig), wenn du dich von Ereignissen, die du nicht ändern kannst, nach unten ziehen lässt und wie geht es dir, wenn du den Tag in einer Verfassung verbringst, die dir Kraft zum Erschaffen von etwas Neuem gibt? Und falls du Mutter/Vater bist: Wie geht es jeweils deinen Kindern damit?»
In Memoriam an eine wunderbare Frau. Vorbild und Mentorin meiner Jugend und Impulsgeberin während meiner ersten Jahre als Working Mom und Unternehmerin.
Ich werde sie immer in meinem Herzen tragen und ihre Weisheit an andere weitergeben.
T. v. K. *1902 - 1995